Die Sage um die „300-baud-Not“
Über die Entstehung der Internet-Sprache gibt es verschiedene Thesen. Als Hauptthese sei die „Sage um die 300-baud-Not“ oder der „300-baud-Mythos“ genannt, der vorgibt, daß die niedrige Übertragungsgeschwindigkeit, 300 Baud nämlich, dazu diente, nicht mehr schreiben zu müssen.
Der 300-Baud-Mythos diente vielleicht als Ausrede, derartige Sprachreduktionen und Neologismen zu verwenden, um nicht mehr schreiben zu müssen. Auf der Basis einer neuen, gemeinsamen Sprache entstand ein Gruppenzusammen-gehörigkeitsgefühl, ein „Verstehen MIT Worten“.
Gegen eine geringe Übertragungszeit als Grund, Zeichen sparen zu müssen, spricht z. B., daß selbst im ungünstigsten Fall mit schlechten Übertragungs-parametern bei 300 Baud
(8 bit pro Zeichen + 1 Start-bit + 1Stop-Bit = 10 bit/Zeichen)
immer noch
300 b/s = ca. 300 Zeichen/Sekunde = ca. 1800 Zeichen/min.
übertragen werden.
Bei normalen Parametern mit 8 bit pro Zeichen erreicht man die Übertragungsrate von circa 2250 Zeichen pro Minute.
In beiden Fällen ist es mindestens 6 mal so viel, wie ein „menschlicher Tastaturbediener“ mit ca. 300 Anschlägen/Minute schafft.
Dennoch wurden Zeitersparnisse durch datenfüllende Footer oder andere Ergänzungen aufgehoben. Das spricht insoweit gegen eine limitierte Bandbreitenthese. Paradoxerweise gab es sogar einige Chatprogramme, die Akronyme aufgespürt und ausgeschrieben haben.
Im Gegensatz zur Rede ist bei der „asynchronen“ Kommunikation, wie der DFÜ, die Übertragungszeit gering im Vergleich zur Generierungs- und Rezeptionszeit. Der Vorgang setzt sich aufwendig zusammen aus Tippen, danach den Gesamttext abschicken und im Gegenzug andere Texte laden sowie lesen. Bei der Rede finden diese Vorgänge synchron statt: Generieren sprachlicher Äußerungen während der Redner spricht und damit eine Kommunikationsabfolge Zug um Zug.